Interview mit Christian Rauch, Zukunftsinstitut
Die Megatrend-Map des Zukunftsinstituts

Christian Rauch, Geschäftsleiter des Zukunftsinstituts mit Sitz in Frankfurt, beschäftigt sich mit seinem Team mit den Megatrends der Zukunft. Im Interview mit logistik aktuell erläutert er die Megatrend-Map und gibt einen tieferen Einblick in den Megatrend Mobilität.

logistik aktuell: Wenn wir über die Zukunft sprechen, über welche Zeiträume sprechen wir da genau?

Christian Rauch: Eine ganz einfache Definition von Zukunft gibt es nicht. Es gibt aber ein kollektives Zukunftsverständnis: alles, was vor uns liegt, wird als Zukunft bezeichnet. Um es ein wenig philosophisch zu formulieren: Zukunft hat immer auch irgendwo schon begonnen. In anderen Teilen der Welt ist manches schon Realität, was hierzulande noch kaum vorstellbar oder sich erst allmählich durchsetzt und andersherum.

Im Zukunftsinstitut betrachten wir in der Regel mittel- bis langfristige Zeiträume – also zwischen drei bis fünf Jahren und zwischen fünf und zehn Jahren. Darüber hinaus werden Prognosen vage und unscharf. Wenn wir über die Zukunft etwa im Jahr 2050 sprechen, beschreiben wir meistens den Weg und die Entwicklung bis dahin. Wir sind aber nicht mit Trendforscher zum Beispiel aus dem Bereich Mode zu verwechseln. Diese denken eher saisonal und kurzfristig, das ist nicht unser Aufgabengebiet.

Sie haben als Zukunftsinstitut die Megatrend-Map entwickelt. Was genau muss man sich darunter vorstellen?

Die Megatrend-Map bildet insgesamt 12 zentrale Megatrends ab und weist über 120 Trendbegriffe aus, die den Megatrends zugeordnet werden. Wir wollen mit der Übersichtskarte gleichzeitig zeigen, wie die Megatrends zusammenhängen, wo es Parallelen und Überschneidungen gibt. Wir sammeln Trend- und Zeitgeistphänomene und schauen, was sie verbindet. Die Erarbeitung der Map ist ein kollaborativer Prozess, zu dem wir die Forscher des Zukunftsinstituts und andere Experten, unsere Studienergebnisse sowie Erfahrungen aus Projekten mit Kunden einbeziehen –  erarbeitet, wenn Sie so wollen, durch kollektive Intelligenz. Am Ende geht es darum, das zu visualisieren und die Erzählung zu übersetzen.

Das Thema Mobilität ist ein wichtiger Megatrend. Was verstehen Sie unter dem Begriff Mobilität?

Wenn wir von Mobilität sprechen, geht nicht nur um räumliche Fortbewegung. Mobilität ist im Sinne von Transport, Verkehr, aber eben auch als Grundmotiv unserer Gesellschaft zu sehen. Wir konsumieren und arbeiten zum Beispiel mobil. Dadurch bekommen die sogenannten „Third Places“ eine immer wichtigere Bedeutung. Es sind die Orte des Transits, zum Beispiel Bahnhöfe und Flughäfen, an denen wir Vernetzung über Konsum, Konnektivität, Internationalität und Globalität erfahren und erleben. Mobilität ist aber auch das, was wir im globalen Maßstab betrachten, zum Beispiel die Transportlogistik und der Tourismus. Es ist ein Megatrend, den man nicht verkürzen darf.

Sie unterscheiden als Zukunftsinstitut nicht mehr nur in Stadt und Land, wenn es um das Thema Mobilität geht?

Wir merken das in unseren Analysen: Die dichotome Unterscheidung Stadt – Land bringt uns in unseren Breitengraden nicht weiter. Wo beginnt die Stadt, die Provinz, das Land? Wir versuchen in neuen Kategorien zu denken. Wir definieren zum Beispiel die Condensed Spaces: innerstädtische Lagen, räumliche Verdichtung, Knotenpunkte, dort wo Konsum stattfindet, wo das Auto gar kein zentrales Fortbewegungsmittel sein muss. Linked Spaces wiederum sind die Verbindungen zwischen vorurbanen Gebieten und Städten, die weit über das unmittelbare Umland hinaus regionale Einzugsgebiete bilden. Um ein letztes Beispiel zu nennen: Lined Spaces beschreiben Achsen zwischen Großstädten, die dank schneller, hochfrequenter Verbindungen trotz erheblicher Entfernungen vielfach tägliche Pendlerdistanzen darstellen, zum Beispiel Köln – Frankfurt, Wolfsburg – Berlin .

Wenn man sich über Raumstrukturen Gedanken macht, darf man sich nicht nur über das Problem der „letzten Meile“ Gedanken machen, sondern muss verschiedene Raumstrukturen mit einbeziehen.

Wie gehen Sie als Zukunftsinstitut vor, wenn Sie Unternehmen und Institutionen zur Zukunft der Mobilität beraten?

Wir sagen den Unternehmen, dass sie sich, wenn Sie ihre Projekte an den Markt bringen wollen, an den Grenzbereichen orientieren müssen. Wir brauchen ein neues Denken, neue Netzwerkpartner, ein Verständnis dafür, dass man nicht nur in einzelnen Verkehrsträgern denken darf. Auch die Städtischen Verkehrsbetriebe fangen an umzudenken, weg von Gefäßlösungen, hin zu einer Schnittstellenpolitik. Bürgermeister sind manchmal die größeren Hebel als die Bundespolitik oder Automobilkonzerne. Die Nutzer sind in Teilen weiter als wir denken: Carsharing wird vom Nutzer als positiv empfunden, Cargobikes und Fahrradmobilität werden im städtischen Bereich sehr gut angenommen.

Autonomes Fahren ist ein Trend, der immer wieder genannt wird. Wie entwickelt sich das Thema aus der Perspektive der Zukunftsforschung?

Wir sind hier schon ziemlich nah vor Durchbrüchen im Markt. So überraschend kommt das auch nicht. Wir haben seit Jahren digitale Anwendungen und Tools, die zu mehr Autonomie im Bereich Mobilität geführt haben. Autos parken jetzt schon selbst über die Einparkhilfe, den Abstandhalter – vieles ist schon Realität. Die Vorstellung, dass alle Autos autonom fahren, wie in einem Science-Fiction-Film, so läuft es sicherlich nicht ab.

Wo liegen die Herausforderungen und Visionen im Bereich autonomes Fahren?

Bisher sind die Ausnahmensituationen noch das Problem. Es muss daher noch viel mehr simuliert werden. Es braucht noch einen Moment bis wir in der Fläche autonome Fahrzeuge sehen. Für Unternehmen wird es sicherlich schnellere Anwendungslösungen geben, insbesondere im ländlichen Raum, wo wir im öffentlichen Verkehr ein kostspieliges System aufrechterhalten. Kleinere Fahrzeuge, die autonom fahren, sind eine Lösung. Aber die Breitenanwendung wird sicherlich noch fünf bis zehn Jahre brauchen.

Im urbanen Raum wird es im Zusammenhang mit der Elektromobilität soweit kommen, dass sich Fahrzeuge selbständig zu den Ladestationen fahren. Kostenlose Parkplätze werden innerstädtisch vielleicht gar nicht mehr erlaubt sein. Wir müssen viele technische Anforderungen zusammen denken, dann wird das Bild vom autonomen Fahren viel konkreter und lebensnaher. Beim Thema autonomes Fahren wurde lange Zeit fast ausschließlich an den Komfort gedacht, aber das noch viel spannendere Thema ist die zunehmende Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer.

Wenn man die aktuellen Entwicklungen betrachtet, könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir vor einer Mobilitätsrevolution stehen?

Ich glaube es eher eine Evolution der Mobilität sein. Über viele Dinge wie Elektromobilität und Wasserstoffantrieb wird schon lang nachgedacht. Es fühlt sich im Moment radikal an, aber wir müssen anfangen neue Geschäftsmodelle anzudenken, so müssen Stadtplaner zum Beispiel mit der Wirtschaft noch viel stärker kooperieren. Die Verbrauchsmuster der Konsumenten verändern sich nicht von heute auf morgen, wir müssen also klug rangehen.

Welche konkreten Aufgaben übernimmt das Zukunftsinstitut für Unternehmen und Organisationen?

Was wir erleben, ist, dass die Unternehmen viel Input bekommen und sich holen. Wir sind weder die klassischen Marktforscher oder Unternehmensberater. Wir versuchen mit Unternehmen sehr tiefgreifend zu arbeiten, strategische und intellektuelle Hilfestellungen zu geben. Wir versuchen das große Bild aufzuzeigen. Wir merken, es ist ein enormer Bedarf, den Wandel zu verstehen, neue Antworten zu finden. Für uns geht es nicht darum, Zukunft vorzugeben, wir können Entwicklungslinien beschreiben, jedes Unternehmen muss seine eigenen Antworten finden.

Danke für das Gespräch, Herr Rauch!

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