Schwertransporte brauchen eine sorgfältige Planung - so wie hier beim Transport eines 92 Tonnen schweren Gaskühlers. © DB Schenker
Schwertransporte brauchen eine sorgfältige Planung – so wie hier beim Transport eines 92 Tonnen schweren Gaskühlers. © DB Schenker

„In meinem Berufsleben habe ich schon oft die Kurve gekriegt“, scherzt Karl Hammerschmidt von DB Schenker in Hagen. Für den Leiter Schwer- und Spezialtransporte ist das mehr als ein lockerer Spruch, sondern Teil der Kernkompetenz. Die Kurve kriegen. Mit einem 150-Tonnen-Koloss auf der Straße bekommt das Thema eine ernsthafte Wendung. Fahrzeuge so lang wie ein halbes Fußballfeld. Gute 10 Meter in der Breite sind auch nicht zu verachten. Ganz zu schweigen von 7 Meter nach oben. Da merkt man, wie knapp es unter Brücken zugeht.

Mit dem Auto nimmt man jede noch so enge Kurve. Notfalls setzt man einmal zurück und schafft es im zweiten Anlauf. Bei einem 50-Meter-Anhänger sieht das anders aus. „Deshalb müssen wir lange vor dem Start des Transportes wissen, wo der Kurvenradius kritisch ist, ob alle Brücken unser Gewicht tragen und wo die Oberleitung zu tief hängt“, erklärt Hammerschmidt.

Tabuzone Fußweg

Eine Genehmigung braucht’s ohnehin für jeden Schwertransport. Die Behörden wollen sicher sein, dass die geplante Route was taugt. Man darf auch nicht mal so eben den Fußweg benutzen. Denn wer weiß, für welche Belastung er ausgelegt ist? Sein Untergrund ist bei Weitem nicht so verdichtet wie der einer Fahrbahn. Falls dort ein Stromkabel oder eine Wasserleitung liegt, kann ein kleiner Fehltritt des Schwertransporters unliebsame Folgen nach sich ziehen. Deshalb merke: Die unerlaubte Nutzung des Trottoirs ist definitiv kein Kavaliersdelikt. Wenn die Polizei kritisch hinschaut, gibt es eine Anzeige und obendrein Punkte in Flensburg. Sofern eine Genehmigung vorliegt, sieht die Welt anders aus. Manchmal ist sie an Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel das Abdecken des Gehweges mit Stahlplatten.

Strecken-Scans

Das Zeitalter der Digitalisierung hat für die Routenplanung und Befahrbarkeitsanalyse nützliche Helfer hervorgebracht. So besteht die Möglichkeit, von Engstellen 3D-Scans anfertigen zu lassen. Solche Darstellungen münden in Simulationsfahrten, die eine verbindliche Auskunft darüber geben, ob sich der Transport wie vorgesehen realisieren lässt. „Natürlich machen wir von den technischen Innovationen Gebrauch“, sagt Hammerschmidt. Aber jeder Scan kostet. Bei komplexen Engstellen legt man einiges auf den Tisch – nur um sich, den Auftraggeber und die Behörde davon zu überzeugen, dass der Lkw nicht irgendwo hängen bleibt. Je nachdem, wie lang die Strecke ist und wie viele Engstellen „im Weg stehen“, läppert sich da ordentlich was zusammen.

TTBN – Through the Bottleneck

Deshalb zieht Hammerschmidt noch eine andere neue Form der Streckenplanung in Betracht: Ausgehend von einem konventionellen Routenplaner (Google Maps) hat die Objectfab in Dresden ein Tool mit dem anschaulichen Namen „Through the Bottleneck“ („Durch die Engstelle“) entwickelt. Das webbasierte Programm hat Informationen zu etlichen „Flaschenhälsen“ gesammelt und stockt den Fundus mithilfe der Nutzer weiter fleißig auf. Zudem stützt es sich auf die relevanten Daten der infrage kommenden Fahrzeuge, wie Gewicht, Lenkradius und Höhe. Der Anwender definiert und belädt virtuell die von ihm vorgesehene Kombination aus Zugmaschine und Auflieger. Dann fährt er am Bildschirm die mögliche Strecke ab. TTBN „weiß“, wieviel Platz der Lkw für welches Manöver benötigt. Schon beim ersten Blick auf die ausgewählte Route erhält der Disponent Hinweise zu problematischen Stellen. Die nimmt er dann unter die Lupe. Das Programm erlaubt ihm die metergenaue Simulation von Lenkmanövern. Es zeigt an, ob und wie der Zug die kritische Stelle passieren kann. Von solchen Darstellungen lassen sich auch die Behörden überzeugen, was das Genehmigungsverfahren für einen Schwertransport durchaus beschleunigt. Und: Sie sind deutlich günstiger als 3D-Scans.

„Respekt vor der Kurve“

Tools wie 3D-Scan und TTBN besitzen inzwischen einen hohen Reifegrad. „Uns hilft das enorm bei der Streckenplanung“, sagt Hammerschmidt. Aber dass sich der Routinier blind auf digitale Angaben verlässt, soll niemand glauben. Noch immer nutzt er ein altbewährtes Hilfsmittel aus der analogen Welt. Welches? Bei den ganz kniffligen Stellen greift Hammerschmidt zum … Klappstuhl. Jawohl! „Ich setze mich eine Stunde an die Engstelle und beobachte in Ruhe, was da passiert.“ Er nennt das „Respekt vor der Kurve“.

About the Author

Andreas Pietsch Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.